Aktivismus – Lobbyismus mit Heldentum-Image?

Mit den aktuell andauernden Koalitionsverhandlungen wird nicht nur zwischen den beteiligten Parteien über Themenfokus, Agenda Setting, die Umsetzung und angestrebte Ziele gesprochen, auch Interessenvertreter:innen versuchen in dieser Phase möglichst großen Einfluss auf die Entscheidungsträger:innen zu üben. Dabei hat sich der Prozess und die Methoden der Einflussnahme in den vergangenen Jahren deutlich geändert. Während Lobbyist:innen früher durch ein umfangreiches politisches Netzwerk ihre Forderungen an den Mann oder die Frau bringen konnten, spielen heutzutage die sozialen Netzwerke und digitale Medien eine entscheidende Rolle in der Problemsensibilisierung der Gesellschaft. Hier ist die Verknüpfung zwischen Lobbyismus und Aktivismus besonders eng:

„Aktivismus, der auf Durchsetzung von Interessen gegenüber politischen Entschei­dungs­trägern ausgerichtet ist, unterscheidet sich vom hergebrachten Lobbying vor allem in den Formen der Mobili­sierung“, schreibt Prof. Dr. Dirk Uwer im Anwaltsblatt.

Aktivismus = gut, Lobbyismus = böse?

Der Aktivismus, von Karl Popper als „Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens“ definiert, grenzt sich von der Politik durch eine informelle, indirekte Art der Teilhabe ab. Aktivistische Gruppen fokussieren sich insbesondere auf die allgemeine Darstellung von Problemen, überwiegend im Bereich der Umwelt, Sozial- oder Rechtspolitik, durch öffentliche Kampagnen, Proteste oder Petitionen. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung ist Aktivismus tendenziell eher positiv besetzt, wenngleich je nach Mittel der Aufmerksamkeitsgenerierung individuelle Distanzierungen auftreten können. Das allgemeine Verständnis des Lobbyismus dagegen bezieht sich mehr auf einen direkten Politikbezug. Der Lobbyismus beansprucht für sich die Anpassung politischer Ziele oder Maßnahmen zugunsten der eigenen Vorteile. Dabei ist die allgemeine Assoziation in der Regel eher negativ geprägt. Lobbyist:innen wird vorgehalten, überwiegend die Interessen von mächtigen Wirtschaftsverbänden und/oder der Industrie zu vertreten. Kritiker:innen werfen ihnen dabei vor, auch problematische Formen der Einflussnahme anzuwenden, die mitunter nicht mit den demokratischen Prinzipien einhergehen:

„Zu viel Macht von einzelnen Interessen, zu wenig Transparenz bei der Arbeit vieler Interessengruppen, zu einseitige Einflussnahme bis hin zur gekauften Politik, zur Korruption.“bpb

Um zumindest mehr Transparenz zu ermöglichen, ist ab Januar 2022 die Eintragung in das allgemeine Lobbyregister vorgesehen. Interessenvertreter:innen müssen sich in das Register eintragen, sobald sie Kontakt zu Abgeordneten aufnehmen oder diesen in Auftrag geben. Damit soll das öffentliche Vertrauen in die Politik und die Arbeit von Politiker:innen gestärkt werden.

Einflussnahme im Zeitalter digitaler Medien

Was früher nur als stille Einflussnahme im Hinterzimmer möglich war, wird inzwischen durch einen gewaltigen öffentlichen Druck ergänzt, den Aktivist:innen per Facebook, Instagram und Telegram ausüben. Die Differenzierung in „Aktivismus = gut“ und „Lobbyismus = böse“ ist daher überholt. Sicherlich kommt es bei einer solchen Einordnung auch immer um die Ziele und Anliegen der Vertreter:innen an, die im subjektiven Ermessen jeder:s Einzelnen zu beurteilen sind. Beispielsweise erfüllen auch Fridays for Future als Klimaschutzbewegung inzwischen die beschlossenen Kriterien und werden im Lobbyregister angeführt. Neben der Rolle von einflussnehmenden aktivistischer Gruppen rückt auch eine weitere Gruppe immer mehr in den Fokus: Die Wissenschaftler:innen. Tatsächlich wird auch ihre Funktion als politisch mitbestimmende Expert:innen ambivalent betrachtet. Insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie und zunehmender Erderwärmung kommen Fragen auf: „Sollen Expert:innen nur Fakten liefern? Sollen sie Fakten interpretieren? Sollen sie sich konkret zu politischen Entscheiden äußern? Dürfen sie?“

Dabei ist die Politik auf einen fachspezifischen Sachverstand, Praxiserfahrungen und Ratschlägen zur Umsetzbarkeit aus den betroffenen Bereichen angewiesen. Einflussnahme ist somit immer auch ein „Tausch­prozess – Informa­tionen gegen Berück­sich­tigung von Interessen“. Diese Taktik verfolgt nicht nur der althergebrachte Lobbyismus. Nein, auch aus aktivistischen Bewegungen entstandene Nichtregierungsorganisationen werden als relevante Akteure in diesem System anerkannt. Die Unterscheidung von Aktivismus zu Lobbyismus ist mitunter eine filigrane Linie, die durch eine zunehmende Relevanz digitaler (sozialer) Medien an Schärfe verliert.

Veröffentlicht am : 15.11.2021