Verringern anonyme Bewerbungen die Gender- und Migration-Pay-Gap?

Diskriminierung bei der Jobsuche ist für viele Menschen leider etwas Alltägliches. Oft sind es unbewusste Vorurteile, die Personalverantwortliche bei ihrer Entscheidung beeinflussen. Ein Ansatz, um den Bewerbungsprozess weniger abhängig zu machen von der subjektiven Wahrnehmung und Entscheidung von Human Resource-Verantwortlicher und für mehr Diversität in Unternehmen zu sorgen, sind anonyme Bewerbungsverfahren. 

Was sind anonyme Bewerbungen?

Anonyme Bewerbungen zeichnen sich durch den Verzicht auf persönliche Angaben wie Name, Alter, Herkunft oder Familienstand aus. Auch ein Foto, wie es in herkömmlichen Bewerbungen noch der Standard ist, wird den Unterlagen nicht beigefügt.

Welche Vorteile hat ein anonymes Bewerbungsverfahren? 

Ohne persönliche Angaben ist eine objektivere und neutralere Vorauswahl der Bewerber:innen möglich. Im Vordergrund stehen dann in erster Linie die Ausbildung, Qualifikation und bisherige Berufserfahrung sowie die Übereinstimmung des fachlichen Profils der Bewerber:innen mit der ausgeschriebenen Stellenanzeige. Persönliche Vorbehalte von Personalverantwortlichen – ob als bewusste Diskriminierung oder als Auswirkung einer unbewussten Tendenz, dem sogenannten Unconcious Bias – kommen so weniger zum Tragen.

Pilotprojekte und Studien aus den vergangenen Jahren zeigen: Das Anonymisieren der Bewerbungen steigert die Einladungswahrscheinlichkeit für ein Vorstellungsgespräch. Die Gruppe der von Diskriminierung Betroffenen nähert sich damit der Wahrscheinlichkeit, ähnlich oft eingeladen zu werden wie von Diskriminierung nicht betroffene Gruppen.

Zudem ermutigt die Möglichkeit einer anonymisierten Bewerbung auch Jobsuchende zur Einreichung ihrer Unterlagen, die sich ansonsten nicht beworben hätten. Im Ergebnis können Teams dadurch diverser werden: Alters-, Herkunfts- und Geschlechterstruktur werden variabler, die Organisation wird durch vielfältige Erfahrungen und neue Perspektiven bereichert und die Produktivität steigt

Was spricht gegen anonymisierte Bewerbungen? 

Die Deutsche Post und die Telekom nahmen zusammen mit anderen Unternehmen an einem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes teil, kehrten aber nach einem Jahr wieder zurück zu einem Bewerbungsverfahren ohne Anonymisierung. Als Gründe wurden angegeben, dass der erhöhte Bearbeitungsaufwand durch das Schwärzen von Bewerbungsunterlagen unverhältnismäßig sei und sich kein nennenswerter Unterschied in der Bewerberauswahl des anonymisierten Verfahrens feststellen lasse. Wir haben im Projekt gelernt, dass unser bestehendes nicht-anonymisiertes Bewerbermanagement alle Aspekte der Chancengleichheit bereits gewährleistet”, gab die Deutsche Post in ihrem Fazit an.

Anonyme Bewerbungen können außerdem auch ein Hindernis für mehr Diversität darstellen, da so die Möglichkeit wegfällt, sich bewusst für bestimmte Zielgruppen zu öffnen oder nach einer Geschlechterquote einzustellen.

Anonymisierungen bei Bewerbungsverfahren sind kein Allheilmittel. Spätestens, wenn ein:e Kandidat:in zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, werden die bis dahin zurückgehaltenen Informationen über Alter, Geschlecht und Aussehen offengelegt und die Chancen auf die finale Zusage können sinken.

Doch der Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gibt hier auch Hoffnung: Diskriminierungen sind wohl am ausgeprägtesten in der allerersten Phase des Bewerbungsprozesses, wo zunächst grob aussortiert wird. Außerdem wird berichtet, dass bereits eine teilweise Anonymisierung von Bewerber:innen zu einer stärkeren Fokussierung auf die objektiven Merkmale einer Bewerbung führen kann. 

Kritiker:innen stellen jedoch in Frage, ob es sinnvoll ist, Bewerber:innen nur auf ihre schulischen und beruflichen Leistungen zu reduzieren. Mit entsprechenden sozialen Hintergründen geht nämlich oftmals auch eine weniger privilegierte Ausbildung einher. “Wenn man strukturell benachteiligt wurde, wird es auf den ersten Blick in einer anonymisierten Bewerbung keine Hinweise darauf geben und sich vor allem durch Lücken im Lebenslauf äußern. Und wer seine Lebenslage besser erklären will, hebt dadurch die Anonymisierung faktisch auf”, schreibt Erica Zingher.

Wichtig ist demnach eine stetige Schulung und Aufklärung von Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen (mit Personalverantwortung), um Vorurteilen und Diskriminierung effektiv zu begegnen. Und schließlich natürlich der Appell, viel früher anzusetzen und sich dafür zu engagieren, dass alle Kinder dieselben Bildungschancen bekommen – unabhängig von ihrer Herkunft oder anderer nicht beeinflussbarer Merkmale, damit echte gesellschaftliche Gleichberechtigung vorangebracht wird.


Mehr zum Unconscious Bias kannst Du hier erfahren!

Veröffentlicht am : 07.03.2022