Bedingungsloses Grundeinkommen – bedingungslos glücklich?

Spätestens seit der Corona-Pandemie und Millionen Erwerbstätigen in Kurzarbeit ist es wieder in aller Munde: Das bedingungslose Grundeinkommen. Für die einen schon lange überfällig, für die anderen ein nicht finanzierbares Schreckgespenst. Belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen bislang, aber das soll sich bald ändern.

Stell Dir einmal vor, Du bekämst jeden Monat 1.200 Euro auf ihr Konto überwiesen. Einfach so. Dafür müsstest Du nicht morgens aufstehen, zur Arbeit fahren und Deinem 9-to-5-Job nachgehen, sondern lediglich deutsche:r Staatsbürger:in sein. Klingt verlockend? Genau das erleben gerade 122 Menschen aus der ganzen Republik, denn am 01. Juni 2021 startete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung das erste Pilotprojekt Deutschlands zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Aus zwei Millionen Menschen, die sich für die Teilnahme beworben haben, wurden 1.500 ausgesucht, von denen wiederum 122 Personen über drei Jahre hinweg ein monatliches Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro ausgezahlt bekommen. Die verbleibenden 1.378 Menschen bilden eine Vergleichsgruppe. Ziel der Studie sind belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse – diese fehlten nämlich in der bisherigen Debatte. Zwar gab es schon Projekte in Finnland, Kanada, den USA und sogar in Deutschland, aber die aktuelle Langzeitstudie erfüllt als einzige folgende fünf Kriterien: Sie ist zugänglich für alle Bürger:innen mit deutscher Staatsbürgerschaft, das Einkommen ist bedingungslos und nicht kürzbar, es beläuft sich auf einer existenzsichernden Höhe, zeitgleich wird ein  Finanzierungskonzept getestet und es ist zivilgesellschaftlich und unabhängig, denn finanziert wird das Ganze von fast 200.000 privaten Spender:innen.

In welcher Welt wollen wir leben?

Die große Frage, die hinter diesem Projekt steht, lautet: Wie würde sich unsere Gesellschaft dadurch verändern? Befürworter:innen des bedingungslosen Grundeinkommens argumentieren, dass wir glücklicher sein könnten: Weniger Stress und Überarbeitung führen zu einer verbesserten Gesundheit. Existenzangst – sprich die Angst vor sozialem Abstieg – wäre unbegründet, wenn alle finanziell abgesichert wären. Ein weiteres Pro-Argument ist die Entlohnung von Care-Arbeit, wie Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. Diese Arbeit wird mehrheitlich von Frauen durchgeführt, die dadurch unter einer unvergüteten Mehrbelastung leiden und ihrem Hauptjob nicht mehr in Vollzeit nachgehen können. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde somit zu mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau führen. Nicht nur während der Erwerbstätigkeit, sondern auch danach, denn Frauen sind häufiger von Altersarmut betroffen als Männer.

Außerdem steht uns ein großer Wirtschaftsumbruch bevor: Die Industrialisierung 4.0 ist in vollem Gange, die digitale Revolution wird die Arbeitswelt von heute von Grund auf verändern. Künstliche Intelligenz wird in den kommenden Jahren viele Arbeitskräfte ersetzen, so wie es auch bei der industriellen Revolution der Fall war. Der entscheidende Unterschied zwischen 1850 und heute ist jedoch, dass damals lediglich körperliche Tätigkeiten ersetzt wurden, heute geht es ebenso um geistige Arbeitsprozesse. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Folgen des digitalen Wandels auffangen: Die Schere zwischen arm und reich würde sich verkleinern, anstatt weiter auseinanderzudriften. Alle wären mit einer Grundsicherung ausgestattet und gegen negative Effekte der Globalisierung wie Niedriglöhne oder Arbeitsplatzverlust abgesichert. Das könnte auch populistischen Bestrebungen den Wind aus den Segeln nehmen und somit das Vertrauen in unsere Demokratie stärken. Des Weiteren würde unser bisheriges Sozialsystem gerechter und bürokratieärmer, da beispielsweise Hartz IV überflüssig wäre.

Wer soll das bezahlen?

Das häufigste Argument gegen das bedingungslose Grundeinkommen ist die Frage nach der Finanzierung. Professor Dominik Enste vom IW Köln rechnete aus, dass dafür mehr als eine Billion Euro jährlich benötigt würden. Der momentane Bundeshaushalt liegt bei der Hälfte. Woher soll also das restliche Geld kommen? Klar, der Wohlfahrtsstaat könnte massiv zurückgebaut werden: Bafög, Rente, Kindergeld oder Hartz IV würden wegfallen. Unser bestehendes Sozialsystem würde dadurch abgeschafft. Darüber hinaus wäre auch die Finanzierung über eine erhöhte Mehrwertsteuer denkbar, wie es der Unternehmer und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens Götz Werner bereits seit Jahren fordert. Dieses Finanzierungsmodell würde jedoch zu einer Schwächung der Kaufkraft führen, wie Gegner:innen argumentieren. Ein weiteres häufig angeführtes Argument ist die Frage nach der Arbeitsmoral der Menschen. Wer würde noch arbeiten gehen, wenn dennoch jeden Monat Geld auf das Konto kommt? Eine Studie aus Finnland, bei der erwerbslose Teilnehmende ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten, unterstützte diese Befürchtung, denn die Teilnehmer:innen waren zwar glücklicher, aber größtenteils weiterhin erwerbslos. Des Weiteren sind die langfristigen Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens noch nicht absehbar, zum Beispiel die Folgen auf das Rentensystem. Außerdem gibt es auch die Befürchtung, dass das Grundeinkommen nicht zu mehr Gerechtigkeit führt, sondern eine bestehende Ungerechtigkeit verstärkt, indem alle Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, den gleichen Betrag ausgezahlt bekommen. Schlussendlich könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen auch die Klimakrise weiter verschärfen, denn Menschen mit mehr Geld tendieren auch zu mehr Konsum bzw. Ressourcenverbrauch.

Macht Cash glücklich?

Das bedingungslose Grundeinkommen soll unsere Gesellschaft glücklicher machen. Aber würde es das wirklich? Welche Bedürfnisse müssen erfüllt sein, damit wir zufrieden sind? Anna Coote, Principal Fellow der New Economics Foundation (NEF), beschäftigte sich genau mit dieser Frage in Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommen und schlägt eine universelle Grundversorgung als bessere Alternative vor. Das Konzept soll gewisse Grundbedürfnisse wie Gesundheitsleistungen, Bildung, Kinderbetreuung, Altenpflege, Wohnung und Verkehr abdecken. Coote argumentiert, dass das keine „Nice-to-haves“ seien, sondern Notwendigkeiten. Die Gemeinschaft verliere, wenn es Individuen gebe, die ihren Bedarf danach nicht abdecken können. Stattdessen sollte eine starke Gesellschaft etabliert werden, in der kollektive Verantwortung füreinander übernommen wird. In ihrem Buch „The Case for Universal Basic Services“ geht Coote davon aus, dass die Grundversorgung die Bedürfnisse der Menschen eher erfüllen würde als ein bedingungsloses Grundeinkommen. Denn eine Finanzierung des Grundeinkommens wäre nur dann möglich, wenn der Wohlfahrtsstaat massiv zurückgefahren würde und diese Verantwortung auf die Bürger:innen überginge. Coote möchte stattdessen einen Ausbau der staatlichen Leistungen, sowie die aktive Beteiligung der Menschen, um die angebotenen Dienstleistungen anzupassen und stetig zu verbessern. Nationale und regionale Regierungen würden für einen gleichberechtigten Zugang sorgen, Standards festlegen und durchsetzen, sowie für die Koordinierung zuständig sein. Coote folgt in ihrer Argumentation den Maßstäben der Gleichberechtigung, Effizienz, Solidarität und Nachhaltigkeit – wichtige Faktoren, die ihrer Meinung nach von der universellen Grundversorgung besser abgedeckt werden.

Was die Zukunft bringt…

Zurück zu dem Pilotprojekt aus Deutschland. Ein Zwischenergebnis wird im Februar 2023 erwartet, im Mai 2024 folgt dann der Abschluss. Zeitgleich werden 2022 und 2023 zwei Folgestudien starten, um weitere Erkenntnisse zu erlangen. Nach Beendigung aller drei Studien werden Ergebnisse zur individuellen Wirkung des Grundeinkommens, zu den Indizien für gesellschaftliche Wirkung, zur Veränderung des Arbeitsanreizes, sowie Aussagen über eine dauerhafte Finanzierung und einen möglichen kollektiven Wertewandel erwartet.

Für alle, die nun das bedingungslose Grundeinkommen kaum abwarten können: In den kommenden Monaten startet die Bewerbungsphase für Studie 2: https://www.pilotprojekt-grundeinkommen.de/.


Autorin: Marisa Wenzlawski

Veröffentlicht am : 18.10.2021