Digitales Nomadentum – Realistisches Arbeitsmodell oder überbewertet?

Von überall leben und arbeiten, ortsunabhängig Geld verdienen, nur mit dem eigenen Laptop ausgestattet um die Welt reisen. Klingt erstmal wie ein absoluter Traum für viele Menschen. Aber inwiefern ist ein solches Arbeits- und Lebensmodell realistisch? Und macht von Ort zu Ort ziehen auf Dauer glücklich? Wir haben uns die Vor- und Nachteile näher angeschaut.

Was ist eigentlich digitales Nomadentum und was macht ein:e digitale:r Nomad:in? Der Begriff ist im Zuge der Digitalisierung entstanden und beschreibt ein neues Arbeitsmodell. Ein:e digitale:r Nomad:in zeichnet sich durch mehr Selbstbestimmung und Freiheit aus, da er oder sie von von überall aus arbeiten kann. Dank neuen digitalen Technologien und den inzwischen fast weltweit funktionierenden Internetverbindungen ist es in vielen Berufen nicht mehr notwendig am Arbeitsplatz vor Ort zu sein. Auch die Pandemie hat das digitale Arbeiten geprägt. Viele Arbeitnehmer:innen arbeiten mittlerweile in hybriden System, komplett im Homeoffice, oder remote. Der Unterschied zwischen letzten beiden besteht darin, dass remote Arbeiten nicht nur aus den eigenen vier Wänden, sondern quasi von jedem Fleck auf der Erde erfolgen kann.

Aber was unterscheidet dann das remote Arbeiten im Homeoffice von dem digitalen Nomadentum? Digitales Nomadentum ist in erster Linie noch nicht so weit verbreitet wie die Arbeit im Homeoffice. Digitale Nomad:innen arbeiten nicht vom eigenen Zuhause aus, auch nicht im Café um die Ecke. Stattdessen sind sie in der Welt unterwegs, reisen viel und haben keinen festen Wohnort. Überall wo es eine Internetverbindung gibt ist das Arbeiten möglich – die Auswahl an Arbeitsplätzen ist demnach groß. Doch nicht jede:r Arbeitgeber:in bietet seinen Angestellten dieses Arbeitsmodell. Digitale Nomad:innen arbeiten oft selbstständig als Freelancer:innen. Voraussetzung für diesen Lebensstil ist natürlich eine technologische Grundausstattung. Ein gut funktionierendes Smartphone, ein  leistungsstarker Laptop und gegebenenfalls diverse Softwares werden benötigt. Hinzu kommt je nach Tätigkeit ein zusätzliches Datenpaket, sofern man nicht jeden Arbeitstag im WLAN-Cafe verbringen möchte.

Um die Welt reisen und dabei Geld verdienen klingt verlockend. Aber das digitale Nomadentum hat auch seine Schattenseiten. Dauerhaft reisen, ohne dabei einen festen Wohnsitz zu haben, kein festes Zuhause zu dem man jederzeit zurückkehren kann – das kann anstrengend sein. Für eine Zeit macht das Spaß, aber auf Dauer ist dieses Lebensmodell mühsam. Entscheidet man sich immer weiterzuziehen, fehlen einem oftmals persönliche Kontakte, denn das digitale Nomadentum lässt kaum einen beständigen Freundeskreis zu. Auch die Nähe zur Familie fehlt einige “Reisenden”. Digitale Nomad:innen treffen auf Sprachbarrieren, müssen immer nach einer stabilen Internetverbindung suchen und sind oft auf sich alleine gestellt. Das klingt für manche Menschen nach einem großen Abenteuer und im Vergleich zum monotonen Arbeitsalltag daheim abwechslungsreich, für andere unglaublich anstrengend. Jede:r muss selbst entscheiden, ob man sich eine solche Arbeits- und Lebensweise zutraut. Es empfiehlt sich daher, vorher schon einmal länger auf Reisen gewesen zu sein. Zum Beispiel durch ein Work-and-Travel-Programm. So kann man individuell herausfinden, ob einem dieser Lebensstil liegt. 

Ein wichtiger Aspekt des digitalen Nomadentums ist natürlich auch die rechtliche und finanzielle Absicherung. Wer viel reist, sollte sich beruflich und privat absichern. Eine Privathaftpflichtversicherung, eine (Auslands-)krankenversicherung und eine Berufsunfähigkeitsversicherung sollte jede:r haben. Bürokratische Hürden, wie Visa und spezielle Genehmigungen sollten auch bedacht werden. Als “Digital Nomad” gehört auch ein großer Organisations- und Rechercheaufwand dazu. 

Nun stellt sich die Frage, welche Arbeitgeber:innen ein solches Arbeitsmodell überhaupt ermöglichen bzw. befürworten. Bei einer Tätigkeit als Ärtz:in oder Führungskraft kommt das digitale Nomadentum weniger in Frage. Es gibt jedoch Berufe, bei denen die persönliche Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich ist. Beispielsweise, wenn man einen eigenen Blog oder Social-Media-Seiten betreibt, oder YouTube Videos dreht. Außerdem kann man als freie Übersetzer:in oder Texter:in arbeiten, wobei man von Agenturen und Kund:innen beauftragt wird und die Deadlines und das Endergebnis zählen. Wann und wo die Arbeit getätigt wird, ist dabei unwichtig. Auch Programmierer:innen und Softwareentwickler:innen arbeiten oft als ortsunabhängige Freelancer:innen. Da die Marketing-Branche auch immer digitaler wird, ist es zudem möglich, sich als Marketingfachkraft zu verwirklichen, während man die Welt bereist. Ist der Kontakt zu Kolleg:innen im Beruf generell minimal, erleichtert das die Arbeit über Zeit- und Ländergrenzen hinweg. Als Datenanalyst:in bietet sich das digitale Nomadentum demnach durchaus an.

Digitale:r Nomad:in sein: Das klingt auf den ersten Blick unfassbar spannenden, ist auf den zweiten Blick aber auch durchaus herausfordernd. Während das digitale Nomadentum auf jeden fall ein realistisches Arbeitsmodell ist, sollte es gleichzeitig nicht idealisiert werden. Es warten viele Hürden und Herausforderungen, die aber durch einen aufregenden Lebensstil mit neuen Erfahrungen, vielen Abenteuern und unvergesslichen Erlebnissen wieder aufgewogen werden. Man wächst daran und fast immer gibt es für die aufkommenden Probleme eine Lösung. Wer sich einen solchen Lebensstil vorstellen kann, sollte dies vorerst auf Zeit, beispielsweise für einige Monate, ausprobieren. Man lernt neue Menschen, Sprachen und Kulturen und oft auch sich selbst besser kennen. Mit ein bisschen Selbstständigkeit und Mut wird das digitale Nomadentum zu einer lohnenswerten Herausforderung!

Veröffentlicht am : 17.05.2022